Der Begriff des digitalen Storytellings legt sich in seiner thematischen Bearbeitung bisher nicht ausschließlich fest und lässt sich somit keiner Absolutheit unterordnen. Gemeint ist damit die Mehrfachnennung des Begriffs in einer Vielzahl von Kontexten. Demnach lassen sich digitale Erzählungen in sich untereinander stark unterscheidenden Bereichen verorten. Somit sind grundsätzlich sowohl fiktive als auch non-fiktive Erzählungen in dem Begriff inkludiert. Betrachtet man fachliterarische Erwähnungen, so fällt eine Tendenz in eine non-fiktive Betrachtungsweise auf. Annika Schach betont hierbei besonders die Betrachtung von Erzählungen im digitalen Raum im Kontext von unternehmerischen und journalistischen Verwendungszwecken. [1] Im Rahmen der Ausrichtung der Arbeit stellt sich die identifizierende Frage innerhalb der journalistischen Praxis und nach den damit verbundenen Kriterien.
Die wahrscheinlich offensichtlichste Unterscheidung findet man in der Definition des Erzählens und Berichtens. Vergleichen wir die Perspektiven des Erzählens konträr zu denen des Berichtens, finden wir Unterschiede, die uns Subjektivität zusprechen. So wird in dem Erzählen die Absicht verfolgt, Zusammenhänge nachvollziehbar und verständlich zu vermitteln, während das Berichten sich in erster Linie um die Mitteilung von Nachrichten, Resultaten, Fakten oder Zahlen dreht. Dieser Absicht liegt ein Aufbau zugrunde, der aus zwei verschiedenen Standpunkten entspringt. So kann das Erzählen grundlegend als personalisiert oder szenisch beschrieben werden, während sich das Berichten besonders um Objektivität und Distanz dreht. Hierbei ist allerdings anzumerken, dass deshalb längst noch nicht von einer Verdrehung von Fakten oder bewussten Fehlinformationen im Rahmen des Erzählens gesprochen werden kann. Eher werden Fakten exemplarisch ausgewählt, um Elemente der Geschichte zu belegen, beziehungsweise sie zu füttern. Im Rahmen des Berichtens ist besonders die Vollständigkeit ein Kernelement, wenn es um den Faktengehalt geht. Auch in der Sprache unterscheiden sich die beiden Strukturen. So werden beim Erzählen tendenziell emotionale, bildliche Worte gewählt, während das Berichten besonders auf abstrakte, fachbegrifflich akkurate Termini zurückgreift. [2] Godulla und Wolf haben hinsichtlich der unterscheidenden Betrachtung von berichtenden (aktualitätszentrierenden) und erzählerischen (geschichtszentrierenden) Formaten eine Unterscheidung der Sujets auf Basis von User:innen-Interesse definiert. Demnach legen Nutzer:innen in berichtenden Formaten ihren Fokus eher auf kurze, klare Informationen mit hoher Relevanz, während in erzählenden Formaten besonders Multimedialität, Usability und Immersion als Erwartungshaltung gelten. Außerdem gelten der Umfrage nach, die berichtenden Formaten in der Rezeption tendenziell als schnell und oberflächlich konsumierbar, erzählende Formate wiederum als selektiv und multisensorisch. Darüber hinaus stellen Godulla und Wolf für die erzählenden Aufbereitungen einen besonders hohen Produktionsaufwand heraus. [3] Daraus ergibt sich eine Betrachtung des Arbeitsfeldes als narrativer Journalismus, der als solcher bereits definiert wurde. Halberstam definiert diesen wie folgt: „Taking an idea, a central point, and pursuing it, turning it into a story that tells something about the way we live today, is the essence of narrative journalism.“ [4]
Das Arbeitsfeld des narrativen Journalismus ist insbesondere aufgrund der inhärent erzählenden Komponente nicht absolut unkritisch betrachtet. So muss sich der narrative Journalismus der Kritik stellen, realitätsverzerrende Darstellungen zu begünstigen zum Beispiel durch eine hinzugefügte Inszenierung. Eine Inszenierung, die nicht zuletzt durch eine Emotionalisierung entstehen kann. Also eine Förderung fälschlicher Darstellungen durch ein Übermaß emotionalisierender Faktoren. [5] Besonders kritisch betrachtet werden Methoden, bei denen teilweise erfundenes Material verwendet wird, um eine Geschichte zugespitzter zu erzählen. Dazu zählen die Schaffung fiktiver Charaktere, die Eigenschaften realer Personen kombinieren, extreme Verkürzungen von Zeitabläufen, die Darstellung innerer Monologe oder das nicht faktenbasierte Ausschmücken von Szenen. Ebenfalls problematisch ist die Frage, wie authentisch Ereignisse rekonstruiert werden können, die die Journalist:innen nicht selbst erlebt haben. Darüber hinaus steht die Verantwortung gegenüber den Akteur:innen und dem Publikum im Fokus. Einerseits sollen Journalist:innen eine unverfälschte, glaubwürdige Geschichte liefern, andererseits müssen sie den respektvollen Umgang mit den Protagonist:innen und deren Informationen sicherstellen. Eine angemessene Balance zwischen diesen beiden Verantwortlichkeiten muss in jedem Fall sorgfältig abgewogen werden. [6] Daraus ergibt sich die Sorge über die fehlende journalistische Distanz. Der enge Kontakt zu Protagonisten birgt die Gefahr, deren Perspektiven unkritisch zu übernehmen. Zudem wird der Einsatz von Ich-Erzählungen kritisiert, da diese den Journalisten zu stark in den Fokus rücken können. [7] Dieser Kritikpunkt scheint nicht abwegig, betrachtet man den Vorschlag von Lambert und Wespe in ausgewählten Fällen auf die Autor:innen als zentrale Figur in den Geschichten zu etablieren. [8] Besonders unter der ebenso präsentierten Perspektive Hauptfiguren, als emotionalen Anker zu verstehen spielt hier ebenso die Sorge der Emotionalisierung eine Rolle. [9] Die Auseinandersetzung mit solcher Kritik scheint relevant, betrachtet man Zahlen zum Vertrauen in Medien. In der Mainzer Langzeitstudie zum Medienvertrauen wurde eine zwar moderat, aber dennoch sinkende Tendenz festgestellt. Darüber hinaus ist das Maß an Vertrauen in Onlinequellen besonders betroffen, welches im Bereich des digitalen Storytellings als eine relevante Infrastruktur festgehalten werden kann. [10] Hinsichtlich der somit steigenden notwendigen Bereitschaft der User:innen für die Auseinandersetzung mit digitalem Storytelling ist scheinbar ein Problemfeld zu verorten, was sich bereits durch die inhärenten Auszeichnungsmerkmale des Genres bedingen und somit nicht außer Acht gelassen werden sollte.
Nächstes Kapitel ▸[1] | Vgl. Schach, Annika. 2017. Storytelling - Geschichten in Text, Bild und Film. Wiesbaden: Springer Verlag, S.V |
[2] | Vgl Lampert, Marie, und Rolf Wespe. 2017. Storytelling für Journalisten: Wie baue ich eine gute Geschichte? Köln: Herbert von Halem Verlag. S.25f. |
[3] | Vgl. Godulla und Wolf, 2018, S.96 |
[4] | Halberstam, David. 2007. "The Narrative Idea." In Telling True Stories, herausgegeben von Mark Kramer und Wendy Call, 10-13. Cambridge: Harvard University, S.11 |
[5] | Vgl. Preger, Sven. 2019. Geschichten erzählen - Storytelling für Radio und Podcast. Wiesbaden: Springer Verlag, S.269 |
[6] | Vgl. Preger, 2019, S.267f. |
[7] | Vgl. Preger 2019, S.270f. |
[8] | Vgl. Lampert, Marie und Rolf Wespe. 2017, S.94ff. |
[9] | Vgl. Lampert und Wespe, 2017, S.80 |
[10] | Vgl. Quiring, Oliver, et al. 2024. „Zurück zum Niveau vor der Pandemie – Konsolidierung von Vertrauen und Misstrauen.“ Mainz, September 2024, S.1 |