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Storytelling im Wandel

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Geschichten gehören zu den ältesten Formen menschlicher Kommunikation. Sie strukturieren Erfahrungen, vermitteln Wissen und schaffen Verbindungen. Doch wie verändert sich die Erzählung, wenn sie nicht länger nur erzählt, sondern erlebt werden kann? Wenn Nutzer:innen nicht bloß zuhören oder zusehen, sondern aktiv eingreifen, entscheiden und gestalten? Digitales Storytelling steht für diesen Paradigmenwechsel. Es verbindet traditionelle narrative Prinzipien mit den Möglichkeiten moderner Technologien. Texte, Bilder, Videos, Audio und interaktive Elemente verschmelzen zu einem dynamischen Ganzen, das sowohl die kreative Freiheit von Autor:innen als auch die Partizipation der Nutzer:innen erweitert. Jedoch greift die Annahme, digitales Storytelling sei lediglich durch die Verwendung multimedialer Elemente definiert, zu kurz und übersieht dessen tiefere Dimensionen, die Prof. Dr. Dieter Georg Adlmaier-Herbst in den vier Kategorien Integration, Verfügbarkeit, Vernetzung und Interaktivität zusammenfasst. [1]

Integration

Die Integration des digitalen Storytellings bildet eine zentrale Grundlage für die Entwicklung moderner Erzählformate, die sich durch die Verknüpfung unterschiedlicher Medien und Plattformen auszeichnen. Dabei steht sie für die Fähigkeit, narrative Inhalte nicht isoliert, sondern als Teil eines größeren Netzwerks zu gestalten. Diese Integration basiert auf den Konzepten der Crossmedialität, Transmedialität und Multimedialität, die jeweils spezifische Ansätze zur Verbreitung und Gestaltung von Geschichten bieten und den Übergang zwischen verschiedenen Formaten und Technologien ermöglichen. Unter Crossmedialität versteht man hinsichtlich des digitalen Storytellings eine Aufbereitung der Elemente innerhalb eines plattformübergreifenden Kommunikationskonzeptes. Also identische Geschichten oder Botschaften werden über ein Sammelsurium bestehend aus verschiedenen digitalen und/oder analogen Plattformen verbreitet. Crossmedialität nutzt dabei gezielt Synergieeffekte, um Reichweite und Wirkung zu steigern. Dabei kommen unterschiedliche institutionalisierte Medien wie Print, Rundfunk, Online- und mobile Medien zum Einsatz, die je nach Zielsetzung und Kontext kombiniert werden können. Solche Strategien können sowohl inhaltlich ausgerichtet sein, indem komplementäre Informationen bereitgestellt werden, als auch markenbezogen, etwa durch die Verknüpfung von Medienangeboten unter einer Dachmarke. [2] Werden diese unterschiedlichen Plattformen mit einer differenzierten Auswahl an Erzählungen bespielt, spricht man von Transmedialität. Diese Kommunikationsstrategie macht es sich zum Ziel die erzählten Geschichten in einem gesamtheitlichen Ökosystem zu verknüpfen und somit Welten zu schaffen, die in ihrer Gesamtheit Botschaften und Eindrücke vermitteln sollen. [3] Diese Welten können auch Storyworlds genannt werden. [4] Die Transmedialität baut direkt auf dem Konzept der Storyworlds auf, indem es die erzählte Welt über verschiedene Medien hinweg ausdehnt und eine kohärente, immersive Umgebung schafft. Storyworlds bieten den narrativen Rahmen, in dem Geschichten angesiedelt und miteinander verknüpft werden können, sodass jede Plattform ihre eigene Perspektive oder Erweiterung der Welt beisteuert. Dabei geht es nicht nur um die passive Rezeption, sondern um eine aktive Einbindung der Nutzer:innen, die Verbindungen innerhalb der Storyworld entdecken und durch eigene Beiträge bereichern können. Diese partizipative Kultur wird durch kollaborative Autorenschaft gestärkt, bei der professionelle Produzent:innen, Künstler:innen und Fans gemeinsam die Storyworld weiterentwickeln und so eine lebendige, dynamische Welt schaffen, die über Plattformgrenzen hinaus Bestand hat. [5] Während Cross- und Transmedialität besonders die Wahl der Plattformen und die Verbreitung von Inhalten über verschiedene Medien hinweg betonen, geht es bei der Multimedialität um die Integration und das Zusammenspiel unterschiedlicher Medienformate innerhalb einer einzelnen Erzählung. Hierbei werden nicht nur Text, Bild, Ton und Video miteinander kombiniert, sondern auch die verschiedenen Darstellungsmodi miteinander verknüpft, um die Erzählung auf eine neue, intensivere Weise zu vermitteln. Die Multimedialität nutzt die Stärken der jeweiligen Medien, um eine Geschichte zu bereichern, wobei jedes Medium in seiner spezifischen Rolle zur Gesamtwirkung beiträgt und die Erzählung in ihrer Tiefe verstärkt. [6] Aufbauend auf der Idee der Multimedialität, die das Zusammenspiel unterschiedlicher Medienformate innerhalb einer Erzählung betont, lässt sich das Konzept der Multimodalität weiterführen. Während Multimedialität verschiedene Medien kombiniert, geht die Multimodalität einen Schritt weiter, indem sie nicht nur unterschiedliche Medien, sondern auch verschiedene Darstellungsmodi innerhalb eines einzelnen Mediums berücksichtigt. So werden nicht nur visuelle, akustische und textuelle Elemente miteinander verwoben, sondern auch die Art und Weise, wie diese Elemente präsentiert werden (etwa in Form von Interaktivität oder Beweglichkeit), um die Erzählung noch vielfältiger und intensiver zu gestalten. Multimodalität erweitert somit das Erzählpotenzial und ermöglicht eine noch differenziertere und immersivere Erfahrung der Geschichte. [7]

Verfügbarkeit

Die Verfügbarkeit prägt das digitale Storytelling und beeinflusst direkt die Reichweite und Wirkung moderner Erzählformate. Sie beschreibt die Zugänglichkeit und Auffindbarkeit narrativer Inhalte in digitalen Medien und wird durch technologische Entwicklungen wie das Internet, mobile Endgeräte und soziale Plattformen ermöglicht. Digitale Geschichten sind potenziell jederzeit und überall abrufbar, was nicht nur die Interaktion mit den Nutzer:innen intensiviert, sondern auch neue Formen der Partizipation und Verbreitung erlaubt. Diese zeitliche und räumliche Flexibilität zeigt sich in der Möglichkeit, Geschichten rund um die Uhr und unabhängig vom Standort zu erleben. Dank mobiler Technologien können Nutzer:innen digitale Erzählungen ortsunabhängig konsumieren oder aktiv mitgestalten. Der über die Jahre stetig wachsende, nahezu unbegrenzte Speicherplatz digitaler Plattformen ermöglicht es zudem, Geschichten in beliebiger Breite und Tiefe zu erzählen, etwa durch zusätzliche Materialien wie Videos, Audiodateien oder dreidimensionale Elemente. [8]

Vernetzung

Die Vernetztheit von Inhalten im digitalen Storytelling eröffnet vielfältige Möglichkeiten, komplexe Zusammenhänge und Erzählstrukturen interaktiv zu präsentieren. Durch die Verknüpfung unterschiedlicher Informationen entsteht ein dynamisches Netzwerk, das Nutzer:innen nicht nur leitet, sondern ihnen auch die Freiheit gibt, eigene Pfade zu entdecken. Eine wichtige Grundlage dafür bildet das Hypertext-Prinzip. Das Hypertext-Prinzip bildet die technische und konzeptionelle Grundlage des digitalen Storytellings und ermöglicht eine modulare, nichtlineare Erzählweise. Geschichten werden in kombinierbare Teilstücke gegliedert, die durch Nutzerinteraktion neue Richtungen einschlagen können. Dieses Prinzip unterstützt bewusst ein sprunghaftes und selektives Nutzerverhalten, das bereits aus klassischen Printmedien bekannt ist, jedoch im digitalen Raum gezielt integriert wird. Auf Hypertext basierende Geschichten zeichnen sich durch eine fluktuierende Menge an Nonlinearität (mehrere Erzählstränge) und Multivokalität (unterschiedliche Perspektiven) aus. [9] Während das Hypertext-Prinzip den Fokus auf die Verknüpfung von Texten legt, erweitert das Konzept des Hypermedia diese Struktur auf eine Vielzahl von Medientypen und hebt die Erzählmöglichkeiten in digitale Dimensionen. Hypermedia stellt ein Konzept zur Strukturierung und Bereitstellung von Informationen dar, das verschiedene Medientypen in einem vernetzten, nicht linearen Informationssystem zusammenführt. Es baut auf dem Prinzip des Hypertexts auf, schafft jedoch durch die Erweiterung auf unterschiedliche Medienarten wie Bilder, Videos und Audio eine vielfältige und interaktive Form der Informationsvermittlung. Das Ziel von Hypermedia-Systemen liegt darin, Nutzer:innen durch die Verknüpfung informationeller Einheiten eine flexible Navigation und ein personalisiertes Informationsmanagement zu ermöglichen. Ein Hypermedia-System besteht aus zwei zentralen Komponenten: der hypermedialen Informationsbasis und der Navigationskomponente. Die hypermediale Informationsbasis kann als Netzwerk beschrieben werden, in dem die Knoten die einzelnen informationellen Einheiten (dargestellt durch verschiedene Medientypen) repräsentieren. Die Kanten dieses Netzwerks bilden die inhaltlichen Beziehungen zwischen diesen Einheiten ab und schaffen somit ein engmaschiges Netzwerk aus thematischen Verknüpfungen. Hierdurch wird ein hoher Grad an Interaktivität und inhaltlicher Vielfalt ermöglicht, wodurch die Informationen in unterschiedlichen Konstellationen aufgerufen werden können. [10]

Interaktion

Ein besonders wichtiger Aspekt des digitalen Storytellings ist die Interaktion. Diese kann einerseits im technischen Sinne gedacht werden, also das Verwenden interaktiver Elemente, Medien oder Plattformen. Oder aber als zwischenmenschliche Interaktion zwischen Autor:innen und Nutzer:innen, sowie zwischen Nutzer:innen im Allgemeinen. Die technische Interaktionsebene setzt sich gleichermaßen zusammen aus den etablierten Medienformaten wie beispielsweise das Internet, Installationen oder Filmformate und neumodischen Entwicklungen wie künstliche Intelligenz, Mixed Reality oder Virtual Reality unabhängig von Verankerungsgrad in der Medienlandschaft. Dabei ist anzumerken, dass die Gesamtheit der Mikro- sowie Makroebene Teil dieser Interaktionsebene ist. Damit sind auf dem detailliertesten Grad Feinheiten gemeint wie spezifische Auswahloptionen in der UI-Gestaltung (z.B. Slider o. Button) bis hin zu allgemeineren Faktoren wie Darstellungsumgebung oder Zeitraum. Die zwischenmenschliche Ebene beginnt grundsätzlich schon im Erstellen einer Geschichte. Bereits in der Konzeptionsphase beeinflusst die interaktive Ebene zwischen Autor:innen und Nutzer:innen den Verlauf der Geschichte durch simple Dinge der Zielgruppenausrichtung. Solch eine Ausrichtung findet allerdings auch im klassischen Storytelling statt. Das digitale Storytelling erweitert diesen Rahmen jedoch über die Konzeptionsphase hinaus und ermöglicht Interaktion auch nach Fertigstellung der Geschichte. Vergleicht man die Ebene Buch mit einer Virtual Reality Anwendung so fällt auf, dass die Interaktion multimodaler und direkter stattfindet. Ein Buch gilt nach Fertigstellung grundsätzlich als abgeschlossen, während die VR-Anwendung im Rahmen von Echtzeit-Interaktion verändert werden kann. [11] Beide dieser Ebenen verbinden sich im Prozess der Herstellung von interaktiven, digitalen Geschichten. Nach Janett Murray gibt es genau an dieser Schnittstelle vier Affordanzen nach denen sich digitale, interaktive Formate ausrichten können: Erstens beschreibt die Prozeduralität die Fähigkeit digitaler Medien, algorithmisch gesteuerte Abläufe und Regeln festzulegen. Diese prozessbasierte Natur ermöglicht interaktive und veränderbare Erfahrungen, in denen Nutzer in die Struktur und den Ablauf der Prozesse eingreifen können. Zweitens betont die Partizipation die aktive Rolle des Nutzers, der nicht nur als passiver Konsument agiert, sondern das mediale Erlebnis durch seine Interaktionen beeinflusst und mitgestaltet. Durch die interaktive Natur digitaler Systeme wird der Nutzer zum aktiven Teilnehmer des Erlebnisses. Drittens verweist die enzyklopädische Form auf die enorme Kapazität digitaler Medien, große Mengen an Informationen zu speichern und zugänglich zu machen. Dies erlaubt es Nutzern, umfangreiche Wissensbestände zu durchforsten und zu organisieren, was digitale Medien zu einem mächtigen Werkzeug zur Informationsspeicherung macht. Schließlich beschreibt die Spatialität die Fähigkeit digitaler Medien, virtuelle Räume zu schaffen, die Nutzer erkunden und in denen sie sich bewegen können. Diese Räume bieten ein immersives Erlebnis, das die Navigation durch virtuelle Umgebungen ermöglicht. [12]

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[1] Adlmaier-Herbst, Dieter Georg. 2018. "Prof. Dr. Altmaier-Herbst: Was ist Digital Storytelling?" 26. Dezember 2018. Zugriff am 10. Dezember 2024. https://dietergeorgherbst.de/blog/2018/12/26/was-ist-digital-storytelling/
[2] Vgl. Godulla, Alexander und Cornelia Wolf. 2017. Digitale Langformen im Journalismus und Corporate Publishing - Scrollytelling - Webdokumentation - Multimediastorys. Wiesbaden: Springer, S. 47
[3] Vgl. Radü, Jens. 2019. New Digital Storytelling. Baden-Baden: Nomos, S. 29
[4] Vgl. Friedman, Joachim. 2019. Storytelling - Einführung in Theorie und Praxis narrativer Gestaltung. München: UVK Verlag, S. 55
[5] Vgl. Schiller, Melanie. 2018. "Transmedia Storytelling: New Practices and Audiences." In Stories, herausgegeben von Ian Christie und Annie van den Oever, 97-108. Amsterdam: Amsterdam University Press. https://doi.org/10.2307/j.ctv5rf6vf.10, S. 2
[6] Vgl. Kleine Wieskamp, Pia. 2024. Storytelling: Digital - Multimedial - Artificial: Methoden und Praxis für Strategie, PR, Marketing, Change und Social Media. München: Carl Hanser Verlag GmbH & Co. KG, S.293 f.
[7] Vgl. Weber, Wibke. 2022. „Multimodalität.“ In Handbuch Zeitschriftenforschung, herausgegeben von Oliver Scheiding und Sabina Fazli, 131–144. Bielefeld: transcript Verlag. S.13
[8] Vgl. Adlmaier-Herbst, Dieter Georg und Thomas Heinrich Musiolik. 2017. "Digital Storytelling als intensives Erlebnis – Wie digitale Medien erlebnisreiche Geschichten in der Unternehmenskommunikation ermöglichen." In Storytelling: Geschichten in Text, Bild und Film, herausgegeben von Annika Schach, 33-60. Hannover: Springer Verlag, S.44 f.
[9] Vgl. Godulla und Wolf 2017, S. 65 f. unter Bezugnahme auf George P. Landow, Hypertext 2.0: The Convergence of Contemporary Critical Theory and Technology (Baltimore and London: The Johns Hopkins University Press, 1997)
[10] Vgl. Spektrum. 2000. Lexikon der Geowissenschaften: Hypermedia. Zugriff am 20. Dezember 2024. https://www.spektrum.de/lexikon/geowissenschaften/hypermedia/7302.
[11] Vgl. Smed, Jouni, Tomi "bgt" Suovuo, Natasha Skult, und Petter Skult, 2021, Handbook on interactive Storytelling. Hoboken: Wiley & Sons Ltd, S.3 f.
[12] Vgl. Murray, Janet H. 1977, Hamlet on the Holodeck: The Future of Narrative in Cyberspace. Cambridge: MIT Press, S.71 ff.