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Diskussion

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Auf Grundlage der durchgeführten Experteninterviews lassen sich keine eindeutigen quantitativen Maßstäbe für das Verhältnis von User Agency und dramaturgischer Kohärenz im nonfiktiven digitalen Storytelling ableiten. Vielmehr verdeutlichen die Aussagen der Befragten ein komplexes Spannungsverhältnis, das von mehreren Faktoren beeinflusst wird. Insbesondere drei Aspekte erweisen sich als zentral: die Geschichte, die Technik und die Zielgruppe. Dabei können die Geschichte, sowie die Technik generell als Einstiegshürde variierender Komplexität betrachtet werden. Diese beiden Faktoren bedingen sich basierend auf ihre individuelle Schwierigkeit in der Rezeption. Die Komplexität der Geschichte (auch als Thema oder Dramaturgie identifizierbar) setzt sich beispielsweise aus Umfang, Sprache oder auch dem narrativen Modell zusammen. Betrachtet man die Technik ist Komplexität besonders bei der Zugänglichkeit und Bedienbarkeit zu verorten. Darüber hinaus ist bei der Wahl der Technik die Fragestellung zu beantworten inwiefern sich diese von den bekannten intuitiven Praktiken im Vergleich zu den dargestellten Inhalten entfernt. Während die Technik als bekannt gelten kann, fällt die kognitive Verbindung schwierig, da sich Bewegungsmuster und Folgen von bekannten Mustern unterscheiden. Folglich steigt die Komplexität und die damit verbundene Hürde. Die Abhängigkeit versteht sich wie eine Waage. Steigt die Komplexität der Geschichte, sollte grundsätzlich die Komplexität der Technik sinken und andersherum. Somit scheinen User-Führung und Dramaturgie gewährleistet. Die angesprochene Zielgruppe kann das Maß der Waage so weit beeinflussen, dass auch komplexe Themen mit einer komplexen Technik verknüpft werden können. Diese besagte Bereitschaft setzt sich aus vielen möglichen Faktoren zusammen. So können beispielsweise ein technisches und thematisches Vorwissen oder auch der Wunsch und das Vertrauen über das aufbereitete Thema lernen zu wollen relevant sein. Die folgende Grafik verbildlicht dies.

[Fig. 10]
Spektren der Möglichkeiten des digitalen Storytellings
Quelle: eigene Darstellung

Bei einer durchschnittlichen Bereitschaft durch die Zielgruppe eröffnet sich ein Spektrum der Möglichkeiten, das korrelierend zu der Bereitschaft schrumpfen und wachsen kann. Dabei zielt dieses Modell nicht auf die Qualität der einzelnen Komponenten ab. Ein vermeintliches Übergewicht an Qualität des einen Faktors, kann Mängel des anderen dabei nicht ausgleichen. So sollte die Technik (kontextbedingt) wahrnehmbare und verständliche Reaktionen vermitteln und die Geschichte emotionale und informative Qualitäten beweisen.

Aus der Perspektive der Produzierenden könnte eine Betrachtung der Bereitschaft des Publikums zunächst ernüchtert wirken, scheint es doch eine exklusiv den Konsumierenden innewohnende Eigenschaft zu sein. Bei genauerer Betrachtung zeigt sich allerdings, dass die Bereitschaft kein statischer Wert sein muss. Die Bereitschaft sich mit einem Produkt der Produzierenden auseinanderzusetzen, sollte vor allem bedingt durch Kommunikation und Präsentation beeinflussbar sein. Daraus ergeben sich besonders nutzer:innenorientierte Lösungen wie zugeschnittene Inhalte oder eine direkte Ansprache als besonders potent in der Förderung der Bereitschaft in der Auseinandersetzung und folglich einer Befähigung der intensiveren Komplexitätskonfrontation. Dementsprechend kann wachsende User Agency nicht ausschließlich als sinkende Kontrolle identifiziert werden, sondern möglicherweise in ausgewählten Fällen sogar als Festigung dieser, da Freiheit in der Entscheidung eine größere Bereitschaft zur Folge haben kann. Es folgt also eine Relevanz über die Aufbereitung der Elemente innerhalb einer Geschichte hinaus. Möchte man also eine Vielzahl von Nutzer:innen an ein komplexes digitales Storytelling binden, sollten im Idealfall schon Mittel und Wege genutzt werden, bevor die eigentliche Geschichte konsumiert wird. Natürlich endet diese Bereitschaftsabfrage allerdings nicht im ersten Berührungspunkt mit der Geschichte, sondern muss fortlaufend in dessen Konsum geschehen, um eine kontinuierliche Bindung zu gewährleisten. In der Betrachtung der Experten scheinen dann eher die Zielgruppen mit hoher Bereitschaft als tendenziell kleiner identifiziert zu werden und somit die Einordnung als Nischenprodukt folgt. Was bleibt ist also ein durch die Produzierenden anpassbarer Wert, der allerdings nicht vollends kontrolliert zu scheinen ist und durch eine Vielzahl an Faktoren bedingt scheint. In einer realwirtschaftlichen Situation ist der gebotene Ansatz nur unter Berücksichtigung produktionslogischer Faktoren möglich. Diese Verortung scheint notwendig, berücksichtigt man die Einordnung des digitalen Storytellings als aufwändigen Produktionsprozess, welcher durch die möglicherweise notwendigen Korrektur- und Analyseschleifen angeheizt wird. Zukünftige Untersuchungen sollten sich diesem Konzept folgend der Frage widmen, inwieweit eine Steigerung der etablierten Bereitschaft möglich ist und wie diese erreicht werden könnte. Betrachtet man die technische Kompetenz im Vergleich von diversen Altersklassen, ist auffällig, dass ein erhöhtes Alter mit einer niedrigeren technischen Befähigung einhergeht. [1] Konträr dazu gibt es regelmäßige Nennungen der – besonders durch Social Media bedingten – sehr kurzen Aufmerksamkeitsspanne junger Erwachsender, welche sich möglicherweise stark faktoriell auf die Bereitschaft auswirken könnte. [2] Eine Untersuchung nach Unterschieden zwischen den Altersgruppen könnte hingehend unterschiedlicher Produktionshäuser möglicherweise weitere Aufschlüsslungen bieten. In einem konsumlogischen Ansatz könnte außerdem untersucht werden, inwieweit bezahlte Formate zu einer höheren Bereitschaft führen können. Auch das in den Interviews angesprochene Potenzial der Ansprache durch künstliche Intelligenz Modelle ist hier als mögliche konkrete Chance zu betrachten.

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[1] Vgl. eurostat. 2024. "Digital skills in 2023: impact of education and age." 22. Februar 2024. Zugriff am 22. Februar 2025. https://ec.europa.eu/eurostat/web/products-eurostat-news/w/ddn-20240222-1
[2] Vgl. Nussbaum, Tessa. 2023. "Social media causes attention spans to drop." 14. Dezember 2023. Zugriff am 4. Februar 2025. https://standard.asl.org/27705/uncategorized/social-media-causes-attention-spans-to-drop/