Wie bewerten Sie Interdisziplinarität im digitalen Storytelling?
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Jacob Vicari
TACTILE.NEWS
Also ich glaube, das kann man gar nicht hoch genug ansetzen, die Interdisziplinarität. Also als ich begonnen (…) also meine ersten interaktiven Storys (…) dann arbeitet man halt eng mit einem Illustrator, Grafiker, Webdesigner zusammen. Wir haben das im Büro gemacht, später war es uns immer wichtig, wenn wir solche Projekte gemacht haben, dass wir möglichst viele Disziplinen zusammengeholt haben, also meinetwegen bei unserem Projekt „Superkühe“, wo es darum ging, interaktiv aus dem Leben von Milchkühen zu erzählen für den WDR, haben wir relativ früh zum Beispiel auch mit einem Gamedesigner zusammengearbeitet und natürlich mit Illustrator:innen dann auch und mit Webdesigner:innen und Journalist:innen, den klassischen Journalist:innen aus Text und aus TV-Erfahrung. Und dadurch, dass das alles so zusammengekommen ist in Workshops, hat sich dann auch die Erzählung dementsprechend weiterentwickelt. Und es ist tatsächlich total wichtig, dass man praktisch nicht in seiner eigenen Profession verhaftet bleibt, sondern guckt (…) genau deswegen arbeiten wir sehr gerne in Design Sprints mit sehr diversen, gemischten Teams wo wir neue Formate entwickeln, wo Entwickler:innen sind, wo Dramaturg:innen sind und wo Gamedesigner:innen sind von außen. Wir Journalist:innen sind Fachjournalist:innen, aber auch Expert:innen für andere Formate, die sich da zusammenfinden und dann genau vorm weißen Blatt anfangen zusammen. Das ist sehr zeitaufwändig und auch teuer für den Beginn also so ein Tag, sehr teuer, wenn man Entwicklerin hat, die mit Nachdenken zum Beispiel keine Zeile Code schreiben. Aber das hat sich eigentlich in allen Formaten, die wir so entwickelt haben, immer sehr bewährt, dass man sofort ein Verständnis füreinander hat und dann genau auf einen gemeinsamen Nenner kommt und dann möglichst schnell gemeinsam Prototypen baut, damit man so ein gemeinsames Verständnis entwickelt. Von daher ist Interdisziplinarität nicht hoch genug anzusetzen. Genauso müssen sich diese Teams zusammensetzen in gemischten Teams, und dass man nicht nur ein gemischtes Team hat, sondern dass das gemischte Team auch am selben Ort zur selben Zeit zusammenarbeitet von Anfang an. Das ist, glaube ich, sehr wichtig. Was halt später im Projekt nicht immer ganz einfach ist, das zu synchronisieren. Wenn die Entwickler:innen schon arbeiten und auch das Storytelling noch nicht fertig ist bzw. Genau man oft viel mehr Zeit braucht als man denkt. Oft eine gemeinsame Sprache zu finden. Besonders für Wissenschaftler:innen im Raum sind die so ganz anders denken.
Matthias Leitner
BR audience:first Lab
Also in meinen Vorträgen sag ich immer digitales Geschichtenerzählen ist Teamsport, das heißt Interdisziplinarität schon im Team. Das sind dann bei uns ja oft so Gruppen von Journalist:innen, aber ich habe es ja vorher bei meinen Zusatzqualifikationen schon gesagt mit einem agilen Mindset im Hintergrund, das heißt ich bin Scrum-Master und kann so ein Mindset mit reinbringen. UX-Design quasi war auch bewusst eine Entscheidung quasi das mit hineinzunehmen, weil auch nicht immer UX-Designerinnen schnell greifbar sind um im Projekt mit reinzukommen. Idealerweise decken wir bei unseren Projekten schon am Anfang verschiedene Perspektiven bis zur Distribution schon in der Geschichtenentstehung quasi mit ab. Und jetzt kommt bei mir noch dazu, alle meine Projekte, also wenn ich jetzt mal „Ich Eisner“, „München 72“ so als Kammerspiele oder auch „Die Rettung“ nehme, das auch im VR Bereich war, waren noch immer Partner-Institutionen außen herum, weil wir dann auch gesagt haben, wir würden gerne den Konnex haben, entweder zur historischen Forschung oder zum Gegenstand des Erzählens, wie bei „Die Rettung“, die Bergrettung quasi die Fachexpertise, die da noch mit reinkommt. Und das ist eigentlich essenziell. Ich glaube nicht (…) Ja, es gibt garantiert sehr gute Projekte, die aus einer Hand kommen und das fasziniert mich auch. Ich würde aber sagen, die größte Erfolgswahrscheinlichkeit besteht darin, wenn ein Team interdisziplinär zusammengesetzt ist, was ja auch mittlerweile irgendwie so ein bisschen Common Sense ist.
Kay Meseberg
ARTE
Also man braucht immer sozusagen zumindest ein Verständnis dafür, wie (…) also man braucht ein sehr breites Verständnis dafür, wie Geschichtenerzählen grundlegend funktioniert. Ja, also vom Höhlengleichnis vielleicht nicht unbedingt angefangen, aber zumindest so, also wie entsteht eine Immersion, wie weckt man Interesse usw., wie weckt man aber auch Interesse von mehreren Menschen? Weil wir reden über Massenmedien und nicht nur über eine Dialogsituation wie jetzt zwischen uns beiden hier gerade. Also wie erreicht man auch mehr Menschen, wie erreicht man das auch mit welchen Mitteln, Ressourcen? Aber auch künstlerischen Mitteln natürlich Designmitteln, technischen Mitteln usw. vielleicht. Wie hat das das Fernsehen erreicht im Vergleich zum Radio? Also so ein bisschen, um Verständnis dafür zu haben, was geht da wie? Und das heißt dann natürlich schon, auch wenn man jetzt sozusagen in digitalen Bereich geht, dass man da natürlich auch ein Grundverständnis davon haben muss, wie funktioniert diese Plattform? Von wem kommt die? Was ist die grundlegende Idee dahinter? Wie funktioniert sie und wie muss man das auch analysieren und in seine Überlegungen einbeziehen? Was sind so Learnings von anderen? Die berühmten Schulterblicke, Benchmarking, solche Sachen muss man da viel mehr praktizieren. Und das halt auch permanent, weil sich die Plattform natürlich auch permanent weiterentwickeln. Also Interdisziplinarität ist sozusagen auch eine Grundvoraussetzung, wobei man aber schon das dann auch (…) also jetzt nicht den Anspruch haben darf, dass alle alles können müssen, sondern eher den Anspruch haben muss, einmal die richtigen Quellen zu kennen, für verlässliche Informationen oder zur Not auch jemanden fragen zu können, der da helfen kann.
A: Also würden Sie tendenziell sagen, dass Interdisziplinarität nicht auf die Person bezogen werden muss, sondern eher auf ein Team von Leuten oder eine Gruppe von Menschen?
Ja, auf ein Netzwerk würde ich eher sagen, ich würde es weicher formulieren. Weil manches kann man mit Newsletterabonnements abdecken oder mit Podcasts und manch anderes braucht doch irgendwo, manchmal dann auch viel Überzeugungskraft und Überzeugungswille. Also das manches braucht dann halt auch viel mehr längere Gespräche, um Dinge auch zu durchdringen und zu verstehen und natürlich auch immer zu versuchen, so ein bisschen vor der Welle zu landen und jetzt nicht mit seinem Projekt anzukommen, wenn das alle schon gemacht haben, dann reiht man sich halt in die Schlange ein und ist dann Nummer 120 und dementsprechend kriegt man dann nur noch die Brotkrümel am Ende ab. Aber das ist ja auch nicht Ziel der Übung.
Lars Grabbe
Münster School of Design
Also das kann jetzt nur die produktionsästhetische Seite sein, die da gefragt ist. Also zumindest suggeriert es diese Frage. Also Interdisziplinarität braucht man spätestens dann, wenn ein Storytelling aus einem monomodalen Kommunikationsmodus heraustritt. Ja, also wenn ein Mensch seinen Kindern eine Geschichte erzählt, rein sprachlich, denn es ist monomodal. Und das kann man relativ einfach machen, indem man sich Geschichten ausdenkt. Sobald ich jetzt tatsächlich in ein Storytelling gehe das webbasiert, screenbasiert, steuerungsbasiert, gestenbasiert, motiontrackingbasiert oder eyetrackingbasiert irgendwie das Digitale berührt, dann brauchen wir natürlich auf der Entwicklungsseite jemanden, der zwischen der Kodierung und der Oberflächenbeschaffenheit oder dem Produktions-, also dem Produktdesign dahinter, die ganzen Artefakte bereitstellt. Also glaube ich auch, dass je multimodaler ein digitales Storytelling wird, Interdisziplinarität dann eine Rolle spielt auf der Produzentenseite das herzustellen. Interdisziplinarität auf der Rezipierendenseite ist, glaube ich nicht nötig, weil Storytelling muss ja für alle gleichermaßen funktional sein. Egal ob 10-Jähriger in der Anwendung oder hochbetagter Mensch mit 80, sobald sie das technische Device sozusagen nutzen können. Und dann braucht man da die Interdisziplinarität nicht. Also das wäre jetzt nur meine Antwort.
Jens Radü
Der Spiegel
Ja, eine Steilvorlage. Natürlich ist es eine sehr, sehr große Rolle. Interdisziplinarität ist natürlich aber auch so global. Es ist interessant, wer gehört dazu und wer gehört nicht dazu? Wir versuchen, wenn wir digitale Storys, so wie ich jetzt verstehe: Ich definiere die als das Zusammenspiel von Text und anderen Medien. Sein es Grafiken, Videoinhalte, Social Media Inhalte, Fotos, alles das, was man unter Multimedialität auch versteht. Und wenn man all das zusammennimmt und eine digitale Story daraus erstellt, muss natürlich das Zusammenspiel dieser Medien möglichst gut funktionieren. Das kann man nur gewährleisten, indem alle Expertinnen und Experten auch ihre Expertise einfließen lassen. Erst dann wird die Story wirklich gut. Natürlich kann man das auch alles alleine versuchen, wenn man die Expertise auf sich vereint. Meiner Erfahrung nach wird es immer besser, wenn man. Wenn man mehr Leute daran teilhaben lässt, ist es ähnlich wie bei einer Band. Wenn Lenny Kravitz von sich behauptet, dass er alle Instrumente auf seinem Album alleine eingespielt hat, dann hat man das auch. Und wahrscheinlich wäre es besser gewesen, jetzt den professionellen Drummer und wirklichen Bassisten mit ins Boot geholt. Also ja, es ist auch Musik, aber der Qualitätsunterschied ist deutlich hörbar und das ist bei digitalem Storytelling auf.
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Seitens der Produzierenden scheint Interdisziplinarität als unabdingbar spätestens, wenn eine Erzählung die monomodalen Ebene verlässt und die Multimodalität betritt.
„Also Interdisziplinarität braucht man spätestens dann, wenn ein Storytelling aus einem monomodalen Kommunikationsmodus heraustritt.“ (Prof. Dr. Lars C. Grabbe, persönliche Kommunikation, 17.12.2024)
„Also glaube ich auch, dass je multimodaler ein digitales Storytelling wird, Interdisziplinarität dann eine Rolle spielt auf der Produzentenseite das herzustellen“ (Prof. Dr. Lars C. Grabbe, persönliche Kommunikation, 17.12.2024)
Diese Interdisziplinarität gilt bereits in einer möglichst früheren Phase der Konzeption und Produktion bis hin zum Deployment. Sowohl auf dramaturgischer als auch auf technischer Ebene.
„Idealerweise decken wir bei unseren Projekten schon am Anfang verschiedene Perspektiven bis zur Distribution schon in der Geschichtenentstehung quasi mit ab.“ (Matthias Leitner, persönliche Kommunikation, 11.12.2024)
Außerdem scheint eine Zentralisierung von Kompetenzen auf Einzelpersonen nicht sonderlich effektiv und ist über eine größere Gruppe von Individuum zu verstehen.
„Das kann man nur gewährleisten, indem alle Expertinnen und Experten auch ihre Expertise einfließen lassen. Erst dann wird die Story wirklich gut. Natürlich kann man das auch alles alleine versuchen, wenn man die Expertise auf sich vereint. Meiner Erfahrung nach wird es immer besser, wenn man. Wenn man mehr Leute daran teilhaben lässt“ (Dr. Jens Radü, persönliche Kommunikation, 17.12.2024)
„…also jetzt nicht den Anspruch haben darf, dass alle alles können müssen“ (Kay Meseberg, persönliche Kommunikation, 06.12.2024)
Eine Gruppe, die MESEBERG als ein Netzwerk versteht. Also eine Verknüpfung von Kompetenzen und Ressourcen über das eigentliche Produktionsteam hinaus, um eine agile Situation zu schaffen, möglichst schnelle Reaktionen einzurichten.
„Ja, auf ein Netzwerk würde ich eher sagen, ich würde es weicher formulieren.“ (Kay Meseberg, persönliche Kommunikation, 06.12.2024)
Die Vervielfachung vieler verschiedener Expertisen und Perspektiven können einerseits eine informatorische Hinterfragung oder Sicherung, sowie eine Weiterentwicklung der Qualität der Geschichte ermöglichen. Ebenso ergibt sich eine breitere Betrachtung von Zielgruppenpotenzialen.
„…weil wir dann auch gesagt haben, wir würden gerne den Konnex haben, entweder zur historischen Forschung oder zum Gegenstand des Erzählens.“ (Matthias Leitner, persönliche Kommunikation, 11.12.2024)
„Und dadurch, dass das alles so zusammengekommen ist in Workshops, hat sich dann auch die Erzählung dementsprechend weiterentwickelt.“ (Dr. Jacob Vicari, persönliche Kommunikation, 16.12.2024)
„…wie weckt man Interesse usw., wie weckt man aber auch Interesse von mehreren Menschen? Weil wir reden über Massenmedien und nicht nur über eine Dialogsituation.“ (Kay Meseberg, persönliche Kommunikation, 06.12.2024)
Der dadurch entstehende Aufwand wirkt sich folglich auch auf Produktionszeit und -kosten aus, wird allerdings als lohnenswert eingeordnet.
„Das ist sehr zeitaufwändig und auch teuer für den Beginn also so Ein Tag, sehr teuer, wenn man Entwicklerin hat, die mit Nachdenken zum Beispiel keine Zeile Code schreiben. Aber das hat sich eigentlich in allen Formaten, die wir so entwickelt haben, immer sehr bewährt.“ (Dr. Jacob Vicari, persönliche Kommunikation, 16.12.2024)
GRABBE betrachtet diese Interdisziplinarität auch von einer Rezipierenden-Perspektive. Stellt hierbei allerdings fest, dass diese nicht erfragt werden kann, um einen Ausschluss gewisser Zielgruppen zu vermeiden.
„Interdisziplinarität auf der Rezipierendenseite ist, glaube ich nicht nötig, weil Storytelling muss ja für alle gleichermaßen funktional sein, egal ob 10-jähriger in der Anwendung oder hochbetagter Mensch mit 80, sobald sie das technische Device sozusagen nutzen können.“ (Prof. Dr. Lars C. Grabbe, persönliche Kommunikation, 17.12.2024)