Fragen:

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Auswertung

Inwiefern halten Sie in Bezug auf die Dramaturgie Abweichungen von gewohnten linearen User-Interface-Modellen für eher produktiv oder kontraproduktiv?

Jacob Vicari

TACTILE.NEWS

Ich halte das für sehr, sehr produktiv, also dass man abweicht. Also das Beispiel der „Super Kühe“. Wir haben für den WDR „Super Kühe“ produziert, ein interaktives Format, das darauf basiert, dass das Leben von drei Kühen verfolgt, die in unterschiedlichen Haltungsformen sind: einer Biokuh, einer auf einem Familienhof konventionell gehaltenen Kuh und einer in einem Großbetrieb und da ist es so wenn man das über Monate verfolgen will, dann sucht man sich, natürlich ist es ein Experiment, man sucht sich eine Dramaturgie aus und unsere Dramaturgie war, dass diese drei Kühe so ungefähr im gleichen Zeitraum gehalten werden sollten und ungefähr vergleichbar sein sollten im Lebensalter. Also haben wir drei Kühe gecastet, weil wir wussten, wir brauchen eine Dramaturgie. Man kann nicht einfach irgendwo hingehen, Sensoren anbringen und dann senden. Sondern man braucht eine Dramaturgie, man muss wissen, was man erzählen will. Allerdings wird diese Dramaturgie viel komplizierter, weil man es halt mit einem lebendigen System zu tun hat, und man nicht sagen kann: kalbt die Kuh Montag, Dienstag oder Mittwoch. Und Ich kann da sehr deutlich sagen, dass das eine harte Zeit erzählerisch ist, Wenn man einer Kuh zuschaut und wartet, dass sie ihr Kalb bekommt. Also da sind zwei Tage ewig, wenn man das live macht. Das ist dramaturgisch eine riesen Herausforderung, aber gleichzeitig ist es auch der Gewinn, dass die Zuschauer:innen merken, dass da etwas ist, was echt ist, was nicht vorhergesehen ist, was mutig ist, was sie wahrnehmen als anders, was heraussticht, weil wir kriegen Viel zu viele durchgeplottete nach demselben Muster gebaute Geschichten vorgesetzt, wo man am Anfang schon weiß, wie es am Ende endet. Und das ist ja nicht die Aufgabe des Journalismus. Und tatsächlich ist es so (…) war das auch so eine persönliche Entscheidung. Ich habe 15 Jahre als freier Journalist gearbeitet und habe Reportagen geschrieben und Portraits geschrieben. Wenn man aber schon losfährt und auf der Fahrt im Zug eigentlich schon weiß, was die Geschichte ist und was passieren wird und welche Zitate man braucht, und dann kommt man wieder man hat genau dies erlebt und diese Zitate gekriegt. Dann weiß man, es ist falsch. Man macht es ja nicht, um irgendwie ein Lückentext zu füllen, sondern man macht es ja, um neue Perspektiven auf die Welt zu geben. Und deswegen finde ich, war immer, wenn etwas schiefgegangen ist als freier Journalist und man damit zurechtkommen muss und dass dann herrlich in der Geschichte aufgearbeitet hat, fand ich das auch die spannenden Geschichten aus dieser Dramaturgie gekommen sind. Und deswegen finde ich die Abweichung von Dramaturgie oder offene Dramaturgien, bei denen man etwas startet und nicht weiß, was am Ende rauskommt, eigentlich immer sehr, sehr spannend und sehr produktiv. Auch für Leser:innen, auch offen zu wissen, wenn etwas schiefgeht.

Matthias Leitner

BR audience:first Lab

Ja kontraproduktiv, würde ich sagen, weil (…) also ich würde sagen, in dem, was ich mache kontraproduktiv. Wenn ich ein bildender Künstler bin, der versucht quasi über die Mechanismen von bestimmten Plattformen aufzuklären und das mit einer sehr künstlerischen Setzung, macht, dann ist es natürlich das Game, das ich spiel. Ich bin jetzt eher in der Ecke unterwegs, wo ich sage, wenn ich auf eine Plattform gehe, dann wähle ich bewusst diese Plattform. Und dann versuche ich auch erst mal den Rezeptionsmustern zu entsprechen und den Verhaltensmustern zu entsprechen, um nicht schon den größtmöglichen Widerstand quasi aufzubauen oder zu riskieren, dass Leute allein deswegen, weil ich zu kantig bin, raus plumpsen. Das ist nicht mein Ziel. Es gibt wahrscheinlich Projekte, wo das Teil des Deals ist. Und dann würde ich sagen, das ist wiederum produktiv, weil dann habe ich vielleicht was damit erreicht: eine Irritation. Dann ist halt wieder die Frage, will ich über die Irritation die Leute eigentlich bei der Stange halten und sie so involvieren, dass sie es interessant finden und bleiben? Oder sorgt die Irritation, dass wäre jetzt erst mal meine These, erst mal dafür, dass sich Leute auf etwas gar nicht einlassen? Also zu welchem Zeitpunkt arbeite ich gegen die Gewöhnung? Ist wahrscheinlich dann meine Frage. Und ich würde sagen, nicht am Anfang.

A: Das ist ja wahrscheinlich dann auch sozusagen gemessen an Themen und Dingen wie der Aufmerksamkeit, der Aufmerksamkeitsspanne oder solchen Dingen, oder?

Ja, ich würde sagen teilweise auch. Also nehmen wir mal WhatsApp als Plattform, wenn ich WhatsApp ganz anders nutze, als es ist. Ich habe ad hoc keine Ideen, quasi das zu tun. Aber alleine, wenn ich schon Sachen wegnehmen. Also hey, ich habe hier einen Account, das ist eine Person quasi, die ist vor 100 Jahren, da ist ja schon ein relativ großer Korpus mittlerweile nicht mehr zurechtdenken muss also viel Suspension of Disbelief. Und dann schreibe ich eben eine Nachricht und der antwortet mir nie. Das ist ja eigentlich schon quasi eine Abweichung von dem gewohnten Modell. Ich meine dann ghosten mich vielleicht mal in privat Leute oder die Leute antworten wir nicht sofort, aber in so einem Fall wäre es eine große Enttäuschung. Wenn ich keine Bilder schicken kann, weil ich das Ding ausschalte, wenn was auch immer passiert. Oder ich benutze Instagram als Plattform komplett gegen den Strich. Wenn ich jetzt eine Website bau und jetzt nehmen wir mal Dada Data von David Dufresne oder andere, die dann teilweise auch bewusst in dem Rahmen gewohntes Verhalten jetzt auf einer Website aushebeln, dann ist es in dem Fall wiederum Teil des Deals, weil er wollte klarmachen, dass Dada gegen alles, was in der Kunstproduktion damals en vogue war, gearbeitet hat und Konventionen gebrochen hat. Dann ist es, dann ist es eine spielerische Form das zu tun. Das war ja eine Schweizer Produktion mit David Dufresne aus Frankreich bzw. Kanada. Kennst du wahrscheinlich. Das ist noch was anderes.

A: So, und wenn man jetzt zum Beispiel beim Web bleibt, wenn man von solchen Dingen abweicht wie das typische vertikale runterscrollen?

Das wäre jetzt wieder so eine UX-Challenge für mich dann würde ich sagen so was will ich denn erreichen. So was ist mein Ziel quasi, was ich mit dem Projekt erreichen soll. Wie ist meine Gestaltungslösung, die ich überprüfen will und dann wäre das ein früher Test, quasi schon auf Basis von Mock-Ups und einem UI-Test in einer geschützten, nicht programmierten Umgebung, weil ich nicht Geld verbrennen will. Das Schlimmste ist ja, ich baue was und das ist produziert und dann Coder oder im schlimmsten Fall noch mehrere Coder sehr viele Tage reingesteckt und am Schluss sagen die Leute: „Ne, brauche ich nicht“ und sind nach 2 Sekunden wieder raus, dann würde ich sagen, so, um das auszutesten, bin ich sehr, sehr früh quasi also, wenn ich bewusst verstoßen will gegen Konventionen, würde ich sehr früh eine Gestaltungslösung mir erarbeiten in einem sehr rudimentären Rahmen und würde versuchen, die in einem anständigen UX-Prozess mit einer validen Gruppe irgendwie zu testen.

A: Aber tendenziell würden sie es wahrscheinlich dann eher (…) wie so eine Art Anomalie bezeichnen? Das heißt, wenn das so auftaucht und funktioniert?

B: Das ist ja dasselbe in der Dramaturgie. Also ich kann Filme erzählen, die keinem der gängigen dramaturgischen Muster entsprechen. Es ist eine Frage, wie ich's tu. Und wenn der emotionale Anker groß genug ist, dann brauche ich nicht „Save The Cats“ und brauche auch nicht „Die Heldenreise“, die Leute werden es schon verstehen. Aber was halt nicht funktioniert, ist: Ich schick die Leute ins Kino, ich sage, das ist ein Kinofilm und das, was die kriegen, ist ein Buch und sollen es 90 Minuten lang lesen. Da werden die Leute aufstehen und sagen: „Seid ihr bescheuert? Ich habe für einen Kinofilm bezahlt. Ich gehe jetzt hier raus.“ Das wäre so ein gutes Beispiel für den kompletten Bruch. Und ich kann solche Anomalien einstreuen. Ich kann auch von einem dramaturgischen Modell abweichen. Also die erste Frage ist: Hat es einen Mehrwert im Telling? Die zweite Frage ist: Was ist die Reaktion der Leute darauf? Quasi ist es eine emotionale, wichtige Reaktion? Bringt es eine Nachdenklichkeit mit sich? Bringt es einen Reflexionsgrad? Warum ist es jetzt so? Und gibt es dafür dann smarte Antworten quasi. Also ist es geplant oder wird es als Fehler wahrgenommen? Gibt ja auch diesen Witz: Ist das ein Feature oder ein Fehler?

Kay Meseberg

ARTE

In der Regel ist es kontraproduktiv. Also sieht man ja auch, dass viele ihre (…) also, dass vieles nicht wirklich funktioniert hat. Also Netflix stellt ganz viel eine bleibt nur noch ein ganz wenig noch online von deren interaktiven Angeboten. Aber es kann natürlich (…) es gibt natürlich immer die ganz eine geniale Ausnahme, die plötzlich einfach neue Welten eröffnet und die dann sehr oft einen Beginn einer neuen Entwicklung ist. Also als wir „Polar Sea“ gezeigt haben und die Leute zum ersten Mal eine Aurora Borealis in Virtual Reality sozusagen gesehen haben, sowas gab es halt vorher so nicht. Oder „Der Weg in den hohen Norden“, wo der Klimawandel auf Kanadas Klimawandel wirkt. So, das gab es halt vorher alles so nicht und das war sozusagen schon ein ganz schöner Triggerpunkt, wo man dramaturgisch einfach nicht so erzählen konnte, wie man das gewohnt ist, von ganz normalen Dokumentationen usw., wo man wirklich abweichen musste. Aber es war so ein starker Trigger, sozusagen der dann extrem produktiv wurde. Und das ist halt so die Abwägung, die man da irgendwo immer treffen muss. Also das große Wow von der Vision pro gerade ist zum Beispiel wirklich mit seinem Körper, mit seinen Fingern und seinen Augen das Gerät irgendwie zu bedienen und natürlich gab es das bei Holo Lens schon mal und bei Magicleap und vielen anderen, aber es hat nie wirklich funktioniert. Es hat eigentlich immer nur genervt und jetzt geht es plötzlich. Ja? Und es ist schon dann etwas sehr Produktives im ersten Moment. Für wie viele das dann produktiv ist, das ist dann noch mal eine ganz andere Frage. Aber das ist sozusagen so üblich. So ein Trigger für: okay, also jetzt mal anschnallen, da kommt was ganz Neues.

A: Sie haben ja gerade das Beispiel angesprochen, bei dem es nicht möglich war normal zu erzählen. Wie entscheiden sie so etwas?

Naja, wenn man das in 360 Grad zum Beispiel drehten, ist ja klar da kann kein Kameramann im Bild seine und da muss man sich halt überlegen, okay, bei jeder Szene, wie kriegt man das hin, dass da niemand Bild irgendwie blöd rumsteht und damit sozusagen den Effekt zerstört. Oder wie, das haben dann andere gemacht, wie macht man das als also so eine Art Presenter-Modus, also jemand nimmt einen mit irgendwohin. Das kann man natürlich auch machen. Aber da muss man es auch ganz klar so darstellen. Und das muss klar sein, bevor eigentlich oder gleich bei Beginn sozusagen, wenn ein Projekt geschrieben wird. Welche sind wirklich Schlüsselfragen, weil die letztendlich den Unterschied machen zu ganz herkömmlichen Dramaturgie.

A: Aber denken Sie, es liegt zum Beispiel an einer Überforderung der Nutzer:innen? Oder, also warum das kontraproduktiv wäre, konkret oder woran konkret würden Sie das festmachen?

Überforderung weiß ich nicht. Ich glaub, das ist eher (…) Also man will ja mit jedem Medium oder mit jeder Geschichte im Idealfall so eine Art von Immersion herstellen. Gemein mit der Person zu sein, sich zu identifizieren. Mit der Darstellenden. Und, und das ist natürlich auch ein Ziel bei einem, bei einem interaktiven Storytelling und mit einem anderen und vielleicht ungewohnten User Interface. Und da muss man das halt dann noch (…) Also die Schwelle ist ja noch höher, wenn man quasi dort es schaffen muss die zusätzlichen Interaktionsmöglichkeiten auch irgendwo zu vergessen oder so als elementar für das Geschichtenerzählen zu nehmen, dass es halt total Sinn macht. Und das ist halt so die Schwierigkeit, je komplexer das dann immer wird, irgendwie als Strg V schieß mich tot dann, denn dann ist es halt das ist halt bei Videospielen früher so am Rechner irgendwie für eine bestimmte Zielgruppe, aber nicht für eine möglichst breite Zielgruppe zum Beispiel. Das sind so Abwägungen, die man da irgendwo treffen muss. Wenn man natürlich eine Geschichte erzählen will für eine ganz enge Zielgruppe: alle „World of Warcraft“ Spieler von 2002 bis 2003 und nur die, weil da irgendwie bestimmtes Feature keine Ahnung. So, dann kann man sich natürlich darauf festlegen und die Dramaturgie darauf anpassen und nur die ansprechen usw. Und dann kann man natürlich auch sich so ganz lustige Sachen überlegen wie halt dann mit dem Interface, irgendwie rumspielen und so, na, aber das ist halt eine Abwägungsfrage zu.

Lars Grabbe

Münster School of Design

(…) ich glaube die Dosis macht das Gift. Ganz im Sinne von Paracelsus. Ich glaube, in der klassischen Wissenskommunikation, bei Heranwachsenden, bei Kindern, bei Teenagern, Vorpubertierenden sind lineare Modelle insofern wichtig, weil sie keine Reizablenkung generieren und kein Distractionmoment, wie man das im englischsprachigen Bereich sagt. Weil nichts ist so schädlich für das Aufnehmen von Information, wenn der Nachbar mit einer Bohrmaschine 20.000 Löcher in die Wand bohrt, weil es laut ist und deswegen geht es um Wissensfokussierung und es gibt einen guten Grund für lineare Interfaces. Es gibt einen sehr guten Grund für statische Interfaces und es gibt einen sehr guten Grund für Nichtinteraktivität. Also Interaktivität wird ja manchmal auch von einigen, sozusagen Propheten des Digitalen wie so eine Sau durchs Dorf getrieben und das halte ich für einen totalen Schwachsinn, weil jetzt setz mal einem 8-jährigen, der Mathe lernen soll ein Headmounted Display auf dem Kopf und dann kann er Gauß dabei zugucken, wie Gauß eine Differenzialberechnung macht. Das ist doch Quatsch. Also der Aufwand für so was ist einfach nur blödsinnig. Da ist Papier und Stift und Radiergummi und ein gut erklärender Lehrer und ein überschaubares, sauberes Tafelbild definitiv in der Memorierung, in der Reizadressierung linear und auch präzise und fokussiert. Und was mir jetzt wichtig ist: nicht reiz überladend und nicht ablenkend. Auf der anderen Seite natürlich kann ich das sehr wohl verstehen. Ein schönes Beispiel: Wenn Harvard Medizinstudierende mit der Hololense, ja also einem sozusagen Augmented Reality Headmounted Display, in einem Anatomie-Hörsaal stehen und ausgebildet werden, weil an so eine Leiche, da können sieben Leute drum herumstehen bei so einer Sektion oder Anatomie-Vorlesung um was zu sehen. Aber mit diesem Display können 500 Ärzte gleichzeitig sich einloggen und super ausgebildet werden und deswegen ist es so (…) Es ist sehr, sehr gut. Es gibt gute Gründe für eine lineare Kommunikation. Es gibt sehr gute Gründe, nicht interaktiv zu kommunizieren und es gibt sehr gute Gründe, nicht interaktiv Storytelling zu betreiben, also einen journalistischen Artikel noch als typografische Textinformation zu rezipieren, mit einem Foto dazu, um Sachinformation auf den Punkt genau grammatisch sauber in die Köpfe von Menschen zu bekommen. Und auf der anderen Seite, jetzt treib mal eine Horde 16-Jähriger in ein Museum zu einer Caspar David Friedrich Ausstellung. Also da schlafe ich dir auch schon ein. Ja, wenn der Lehrer sozusagen keine Lust hat auf den Unterricht, also da ist das Lineare dann wieder ein Malus und da kann das interaktive unheimlich erfahrungswirksam sein motivierend, mobilisierend und auch aktivierend auf eine sehr wache Art und Weise also. Und deswegen muss ich sagen, je nach Dramaturgie, was ich also als Wissenseffekt erzielen will, davon hängt die Dosis ab, wie ich Interaktivität einsetze. Manchmal ist es null interaktiv sehr gut und maximal ist maximal interaktiv. Sehr gut. Aber das hängt wirklich von komplexen Zielerreichungserkenntnissen ab, die man vorher sammeln muss.

Jens Radü

Der Spiegel

Ja, auch da wieder die zwei Herzen. Als wir angefangen haben, digitale Storys zu produzieren, das ist natürlich in meinem Fall ein bisschen länger her. Wie gesagt, ich bin seit 2006 beim Spiegel und wir haben angefangen mit komplett interaktiven nonlinearen Angeboten, also Erlebniswelten, in denen sich die Leute durchnavigieren konnten und man dachte, das ist ein Wahnsinns Benefit, wenn man nicht mehr sagen müsste, was sie machen, sondern sie einfach explorieren können. Solche explorativen Geschichten, von denen bin ich tatsächlich abgekommen, denn es gibt einige Menschen, die es wirklich schätzen. Die Generation Gaming also, die durch Computerkonsolen und Handyspiele irgendwie schon so weit sind, dass sie ganz automatisch in so einen Playermodus kommen und sich dann einfach Inhalten ganz anders nähern als vielleicht die Masse der Menschen. Aber tatsächlich sind wir nun mit dem Spiegel keine Nische, sondern doch ein Massenmedium. Und die Masse der Menschen braucht eine klare Nutzerführung sozusagen auch bei Information, auch bei News, auch bei digitalen Storys. Und deswegen muss diese Abweichung entweder so intuitiv erlernbar oder so intuitiv antizipierbar sein, dass ich keine Bedienungsanleitung dazu brauche. Oder aber sie ist nicht da oder aber sie ist nicht an der richtigen Stelle und dann muss man darauf verzichten. Kill your darlings, auch wenn man wirklich die lange programmiert hat oder denkt, dass es besonders gut funktioniert, wenn es sich bei 8/10 Usern nicht sofort vermittelt, ist das ein sehr, sehr klares Zeichen. Ich bin generell eher so ein bisschen explorativ und sind das reizvoll, aber habe eben die Erfahrung gemacht, durch sehr, sehr viele Erfahrung mit digitalen Storys, auch durch sehr, sehr viel und lange Jahre jetzt am Newsdesk zu sehen, dass man die Masse der Menschen eben damit nicht abholt.

Die Frage nach Produktivität der Abweichungen scheint stark von drei übergeordneten Faktoren abzuhängen, die LEITNER bereits bei Frage 5 angesprochen hat: das Thema, die Technik und die Zielgruppe. Wobei sich diese Bereiche nicht gänzlich voneinander trennen lassen und Reibungen untereinander und miteinander verursachen. Innerhalb der genannten Faktoren eröffnen sich Fragen, die möglicherweise als Beurteilungskriterium der Produktivität dienen können. Hat die Abweichung einen Benefit für die Erzählung oder Elemente der Erzählung des Themas? VICARI, MESEBERG und LEITNER sprechen hier besonders von Fällen, die sich beispielsweise durch inhärente Aspekte des Themas begründen lassen.

„Also die erste Frage ist: Hat es einen Mehrwert im Telling?“ (Matthias Leitner, persönliche Kommunikation, 11.12.2024)

„Wenn ich jetzt eine Website bau und jetzt nehmen wir mal Dada Data von David Dufresne oder andere, die dann teilweise auch bewusst in dem Rahmen gewohntes Verhalten jetzt auf einer Website aushebeln, dann ist es in dem Fall wiederum Teil des Deals, weil er wollte klar machen, dass Dada gegen alles, was in der Kunstproduktion damals en vogue war“ (Matthias Leitner, persönliche Kommunikation, 11.12.2024)

„…weil wir wussten, wir brauchen eine Dramaturgie. Man kann nicht einfach irgendwo hingehen, Sensoren anbringen und dann senden. Sondern man braucht eine Dramaturgie, man muss wissen, was man erzählen will. Allerdings wird diese Dramaturgie viel komplizierter, weil man es halt mit einem lebendigen System zu tun hat“ (Dr. Jacob Vicari, persönliche Kommunikation, 16.12.2024)

„…das war sozusagen schon ein ganz schöner Triggerpunkt, wo man dramaturgisch einfach nicht so erzählen konnte, wie man das gewohnt ist, von ganz normalen Dokumentationen usw., wo man wirklich abweichen musste.“ (Kay Meseberg, persönliche Kommunikation, 06.12.2024)

„Quasi ist es eine emotionale, wichtige Reaktion? Bringt es eine Nachdenklichkeit mit sich? Bringt es einen Reflexionsgrad?“ (Matthias Leitner, persönliche Kommunikation, 11.12.2024)

„Und deswegen muss ich sagen, je nach Dramaturgie, was ich also als Wissenseffekt erzielen will, davon hängt die Dosis ab, wie ich Interaktivität einsetze.“ (Prof. Dr. Lars C. Grabbe, persönliche Kommunikation, 17.12.2024)

„Und wenn der emotionale Anker groß genug ist, dann brauche ich nicht Save the Cats und brauche ich auch nicht Die Heldenreise, die Leute werden es schon verstehen.“ (Matthias Leitner, persönliche Kommunikation, 11.12.2024)

Im Hinblick auf die Technik und dessen Einsatz lassen sich folgende Fragen aufwerfen: Erhöht sie die Qualität der Geschichte? Gilt sie als zugänglich? Insbesondere im Hinblick auf die Erlernbarkeit und den Umgang mit ihr? Lassen sich möglichst viele Reibungspunkte der Technik entwerten? Dies ließe sich unter anderem auf die Sorge der Ablenkung und letztendlichen Abwendung des Publikums zurückführen. In diesem Gebiet wird der Herausforderung thematisch folgen zu können, eine weitere hinzugefügt.

„…weil sie keine Reizablenkung generieren und kein Distraction-Moment, wie man das im englischsprachigen Bereich sagt.“ (Prof. Dr. Lars C. Grabbe, persönliche Kommunikation, 17.12.2024)

„…deswegen muss diese Abweichung entweder so intuitiv erlernbar oder so intuitiv antizipierbar sein, dass ich keine Bedienungsanleitung dazu brauche. Oder aber sie ist nicht da oder aber sie ist nicht an der richtigen Stelle und dann muss man darauf verzichten.“

„Also die Schwelle ist ja noch höher, wenn man quasi dort es schaffen muss die zusätzlichen Interaktionsmöglichkeiten auch irgendwo zu vergessen oder so als elementar für das Geschichtenerzählen zu nehmen, dass es halt total Sinn macht.“ (Kay Meseberg, persönliche Kommunikation, 06.12.2024)

„Oder sorgt die Irritation-dass wäre jetzt erst mal meine These- erst mal dafür, dass sich Leute auf etwas gar nicht einlassen? Also zu welchem Zeitpunkt arbeite ich gegen die Gewöhnung? Ist wahrscheinlich dann meine Frage. Und ich würde sagen, nicht am Anfang.“ (Matthias Leitner, persönliche Kommunikation, 11.12.2024)

„Also das große Wow von der Vision Pro gerade ist zum Beispiel wirklich mit seinem Körper, mit seinen Fingern und seinen Augen das Gerät irgendwie zu bedienen Und natürlich gab es das bei Holo-Lens schon mal und bei Magic-Leap und vielen anderen, aber es hat nie wirklich funktioniert. Es hat eigentlich immer nur genervt und jetzt geht es plötzlich. Ja? und es ist schon dann etwas sehr Produktives im ersten Moment.“ (Kay Meseberg, persönliche Kommunikation, 06.12.2024)

Auch die angepeilte Zielgruppe muss erörtert werden und es stellen sich die Fragen, ob die besagte Zielgruppe einerseits in der Lage ist sich mit den Abweichungen auseinanderzusetzen und schlussendlich auch, ob sie bereits dazu ist? Natürlich ist es aus einer marktwirtschaftlichen Perspektive auch relevant, wie groß die besagte Zielgruppe ist.

„Die zweite Frage ist: Was ist die Reaktion der Leute darauf?“ (Matthias Leitner, persönliche Kommunikation, 11.12.2024)

„Solche explorativen Geschichten, von denen bin ich tatsächlich abgekommen, denn es gibt einige Menschen, die es wirklich schätzen. Die Generation Gaming also, die durch Computerkonsolen und Handyspiele irgendwie schon so weit sind, dass sie ganz automatisch in so einen Playermodus kommen und sich dann einfach Inhalten ganz anders nähern als vielleicht die Masse der Menschen.“ (Dr. Jens Radü, persönliche Kommunikation, 17.12.2024)

„Und die Masse der Menschen braucht eine klare Nutzerführung sozusagen auch bei Information, auch bei News, auch bei digitalen Storys.“ (Dr. Jens Radü, persönliche Kommunikation, 17.12.2024)

„Für wie viele das dann produktiv ist, das ist dann noch mal eine ganz andere Frage“ (Kay Meseberg, persönliche Kommunikation, 06.12.2024)

Und scheinbar gibt es für einen Großteil der Menge Produktivitätsmomente hinsichtlich abweichender Nutzer:innenführung, allerdings scheinen diese nur für vereinzelte Themen, einige technische Beispiele und kleinere Zielgruppen existieren. Hinsichtlich dieser Betrachtung wird vor allem die dadurch immer größer werdende Schwelle des Einstiegs angesprochen, die sich der notwendigerweise wachsenden Bereitschaft der Nutzer:innen stellen muss. Außerdem gehen ihnen ein größeres Maß an Planungs- und Produktionsaufwand einher.

„…dann würde ich sagen so was will ich denn erreichen. So was ist mein Ziel quasi, was ich mit dem Projekt erreichen soll. Wie ist meine Gestaltungslösung, die ich überprüfen will und dann wäre das ein früher Test, quasi schon auf Basis von Mock-Ups und einem UI-Test in einer in einer geschützten, nicht programmierten Umgebung“ (Matthias Leitner, persönliche Kommunikation, 11.12.2024)

„Aber da muss man es auch ganz klar so darstellen und das muss klar sein, bevor eigentlich oder gleich bei Beginn sozusagen, wenn ein Projekt geschrieben wird.“ (Dr. Jacob Vicari, persönliche Kommunikation, 16.12.2024)

Es scheint dabei weiterhin ein Werkzeug und Chance avantgardistischer Formate der Exploration zu bleiben, welche Trend- und Vorreiterchancen ermitteln kann.

„…es gibt natürlich immer die ganz eine geniale Ausnahme, die plötzlich einfach neue Welten eröffnet und die dann sehr oft einen Beginn einer neuen Entwicklung ist.“ (Kay Meseberg, persönliche Kommunikation, 06.12.2024)